Das Leben ist ein Tanz

von Clara Rappenecker

 

ER

 

tanzte nicht, sondern hielt sich lässig an seiner Bierflasche fest. Der Club war voll, roch nach vielen Menschen, die sich bewegten, Alkohol und ein wenig auch nach Erbrochenem. Es war einer dieser Clubs, in die man rein kam und auch drin blieb, wenn man noch keine fucking 18 war. Sein Blick schweifte über die flackernd beleuchteten Leiber, die auf und nieder zuckten, wie irgendein abgespacetes Meeresgras bei Sturm. Er sah gut aus, wusste dies und nutzte es aus. Ihm gegenüber tanzte Maja. Sie war das begehrteste Mädchen und sie fehlte ihm in seiner Liste. Eine Liste, die Jungs Macht gab: Wer, mit wem geschlafen hatte. Maja war schlank, sportlich, groß, langbeinig, braungebrannt, mit blonder Mähne - ob echt oder nicht, sei einmal dahin gestellt -, welche sie lasziv zu dem Wummern des Basses in den Nacken warf.

 

SIE

 

war lange Zeit vor dem Spiegel gestanden, hatte die Wimpern zwei Mal getuscht, eine dreifache Make - up Maske aufgelegt, die sie älter machte, als sie war - schließlich wollte sie ja in den Club kommen, für den sie viel zu jung war. Der Kajal sollte ihre Augen groß, der Lidschatten sie verrucht aussehen lassen und Rouge ihre Wangenknochen betonen.

 

Eigentlich sah ihr schließlich eine Fremde entgegen. Das enge, schwarze, tief ausgeschnittene Kleid war ein Panzer, ein Panzer, der sie schützte. Davor schützte, verletzt zu werden. Sollte sie aufhören, Maja zu sein, dann wussten die anderen, wer sie wirklich war. Plötzlich wäre sie ganz schnell eine der Außenseiterinnen.

 

Sie hatte ihre Eltern wie immer angeschwindelt: „Nur eine kleine Party, bei einer Klassenkameradin daheim!“ Hatte versucht, sich dabei gut zu fühlen und doch auch dieses Mal, legte sich dieser Druck auf ihr Herz. Dabei log sie oft. Und die zehn Gebote waren ihr Jacke wie Hose. Aber irgendwie machte sie das Lügen immer total fertig. Von innen heraus.

 

 

 

Er

 

musste sie haben. Dabei wusste er eigentlich inzwischen ziemlich genau, dass er nicht auf Mädchen stand. Obwohl es ihn unglücklich machte. War irgendein Teenager eigentlich glücklich? Aber was war schon Glück?

 

Sie

 

hatte noch nie Spaß beim Sex gehabt. Es war nur einfach so,…sie hatte es angefangen, weil sie dazu gehören wollte. Zu den „großen Mädchen“. Das hatte sich rumgesprochen. Und dann hätte es ihren Ruf ruiniert, wenn herausgekommen wäre, wie sie sich danach fühlte: Sie wollte sich die Haut abschrubben, bis sie blutete. Weil sie den Geruch der Jungs loswerden wollte, die alles mit ihr gemacht hatten, was als verrucht, wild und „in“ galt.

 

Sie wusste auch gar nicht, ob das wirklich sie war, die das tat, die das fühlte. Wer war sie denn? Was wollte sie denn? So werden, wir ihre Mutter sicher nicht: Birkenstock-Sandalen, selbstgestrickte Socken, Fair-trade-Pulli und Brille?

 

Bloß nicht! Bloß nicht eine von diesen Emanzen. Oder eine dieser Nerd – Ich - trage – einen –Gryffindor – Schal - und – bin – eine - ganz – besondere – Schneeflocke - Mädchen. Oder eine dieser Streber - Perfektionistinnen, die „Size zero“ dünn waren, Geige spielten, nur Einser schrieben, im Gospelchor sangen, „Jesus liebt mich“ auf ihrem T-Shirt stehen hatten und im Sommer Schildkröten in Griechenland retteten oder in Südafrika im Waisenhaus halfen.

 

Sie wollte Spaß, Prestige, Anerkennung, Macht, im Mittelpunkt stehen, denn dann fiel man paradoxerweise am wenigsten auf.

 

Er

 

war da so reingeschusselt - in dieses Casanovas-Image. Und das war besser, als wenn die anderen herausfinden würden…dass er…dass er auf Jungs stand. Das Schlimmste war nämlich: Seine Eltern würden es tolerieren. Die ganze Stufe in der Schule würde es tolerieren. Alle waren ja so tolerant und beschissen politisch korrekt! Und seine Eltern wären ach so verständnisvoll und würden, nachdem sie abgeklärt hatten, dass es nicht ein Erziehungsfehler war,  in wildem Aktionismus mit ihm zu irgendwelchen Demos gehen und ihm Kondome schenken oder ihn auf einer Online-Partnerbörse anmelden.

 

 

 

Sie

 

wollte die Schöne sein. Was sollte sie denn auch sonst sein? Irgendeinen Sinn musste dieses Leben doch haben. Zumindest wollte sie dabei schön sein.  Dabei wusste sie tief drin in sich, es gab andere Dinge, die wahre Bedeutung besaßen: Ihre Freunde, ihre Familie und ihr Hund Stella. Sport! Ein Tag am Meer oder bei ihrem Pferd. Oder wenn man ein gutes Buch las und dabei weinte, weil es einen so mitnahm. Das war ihr wichtig.  Ihre sogenannten Freundinnen? Nein, die kannten sie ja gar nicht wirklich!

 

Ach überhaupt- wen interessierte denn eigentlich ihr Make-up?  Aber da sie diese Rolle begonnen hatte, würde sie sie weiterspielen müssen. Sie war die Schöne.

 

Dabei war sie eigentlich zu intelligent dafür. Irgendwann würde das auffliegen. Sie hatte immer noch gute Noten, auch wenn sie alles tat, um das zu ändern. Ihr Abi-Zeugnis müsste dann allerdings wieder richtig gut werden. Sie wollte schließlich Medizin studieren. Das erzählte sie natürlich niemandem.

 

Zwei Kinder hätte sie gerne. Außerdem einen mega gutaussehenden, netten, aber ziemlich reichen Typen.

 

Natürlich würde sie dann nicht daheim bleiben wie diese Spießermuttis! Da doch lieber im Bleistift - Rock  Vorträge halten! Wobei…es war schon immer schön, wenn sie bei ihrer besten Freundin Carmen war, während ihre Mutter arbeitete. Carmens Mutter hatte mit Ihnen immer ziemlich tolle Sachen gemacht: gebastelt, den Zoo besucht, im Wald Tannenzapfen gesucht und einmal waren sie im Kletterwald gewesen.

 

Egal.

 

 

 

Er

 

wusste: Wenn man schwul war, dann musste man es wie David machen. Aber er war nicht wie David. David war schon immer homosexuell gewesen. Zumindest in seiner Erinnerung. Er hatte es drauf, dieses ganze stylische Schwulenzeug: perfekte Frisur, lässiger Gang, coole Klamotten, lustige Sprüche und ein freches Lächeln. Er selbst konnte das so nicht. Er hatte keine Ahnung, was für ein Schwuler er wäre und es war ihm auch irgendwie zu anstrengend. Eigentlich wollte er einfach nur spießig sein. Klar, heutzutage konnte man als Mann einen anderen Mann heiraten, irgendwie würden sie auch zu einem Kind und einem Haus kommen. Aber es war schwierig und fragwürdig und er hatte darauf keine Lust. Zumindest jetzt nicht. Zumindest momentan nicht.

 

Sie

 

musste sich konzentrieren! Er hatte sie im Visier, das spürte sie. Wenn sich herumspräche, dass sogar ER mit ihr…dann wäre sie für immer die Queen. Aber vermutlich würde sie mit ihm eine rauchen müssen. Dabei war das total ungesund! Es war so schon schwierig genug Sport neben der Schule zu betreiben. Es so aussehen zu lassen, als hätte sie dabei keinen Ehrgeiz machte es nicht einfacher.

 

Das Kleid war total unbequem. Dabei machte sie sich eigentlich gar nichts aus Kleidern. Am liebsten trug sie Jogging-Hose.

 

Er

 

Konnte sich nicht outen. Da gab es zwei Hindernisse. Das eine war seine Fußballmannschaft. Er mochte die Gemeinschaft, er mochte den Sport. Aber es war immer noch echt schwierig, ein Schwuler in so einem krassen Macho-Männersport zu sein. Allerdings- wenn er ehrlich zu sich war, wusste er, das zweite Hindernis war viel, viel größer. Ein Burj Khalifa ähnliches Hindernis.

 

Fabian war sein bester Freund, aber wusste nichts von seiner Homosexualität. Noch viel schlimmer war, Fabian war der Mann, in den er sich verliebt hatte. Lange hatte er sich dies nicht eingestehen wollen. Wenn er wählen könnte, er würde in Kauf nehmen, dass diese Liebe für immer unerwidert bliebe, dafür aber das Wissen erhalten, dass Fabians Freundschaft ihm auch dann sicher wäre, wenn er sich outen würde. Sie waren schon im Kindergarten beste Freunde gewesen. Fabian war für ihn unglaublich wichtig. Er könnte viel ertragen, aber nicht, seinen besten Freund zu verlieren.

 

 

 

Sie

 

fragte sich manchmal, wie es wäre, wenn sie studierte? Wie ging es dann weiter? Wollte sie überhaupt studieren? Als sie klein war, da wollte sie die Welt retten. Mindestens Delfine erforschen und sich an einen Baum im Dschungel binden, damit er nicht gefällt werden konnte oder Tigerbabys aufziehen und anschließend auswildern. Aber das brachte ja nichts. Diese Welt war am Arsch und da das nun einmal schon so war, konnte man wenigstens noch ein wenig Wodka trinken, bis der Kapitalismus, die Erderwärmung oder irgendeine Atombombe allem den Rest gaben. Die Welt retten konnte kein Einzelner. Also konnte man es auch gleich lassen… Ah, er kam auf sie zu.

 

Er

 

roch ihr billiges Parfüm und ihren Schweiß. Sie war die Sorte Mädchen, die er einfach zum Kotzen fand: nette Fassade und scheiß Charakter. Aber…

 

Er konnte noch nicht dazu stehen. Und aus lauter Angst, aufzufallen, als einer, der keine Mädchen wollte, hatte er ständig Mädchen. Als Casanova natürlich so eine Sorte Mädchen. Wenn, dann hätte er sich wenigstens gerne eines dieser süßen Chormädchen hinter die Mauern des Clubs mitgenommen. Aber die waren so brav, entweder passierte nichts Unanständiges oder man konnte für die Außenwirkung auch gleich allein ins Bett gehen. Oder sich outen. Also tanzte er mit ihr.

 

Sie

 

konnte seine Nähe nicht ertragen, doch schmiegte sich eng an ihn.

 

Er

 

spürte ihren Körper und es war ihm sowas von egal.

 

Sie

 

dachte, dass sie das alles ertragen könnte, diesen ganzen  Teenager-Unsicherheits-Scheiß, wenn sie nur wüsste…

 

 

 

…, dass alles gut werden würde.